Seit einiger Zeit berät die Rundfunkkommission der Länder über eine Reform des Medienstaatsvertrags, der den Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten umreißt. Seit November 2021 gibt es einen Diskussionsentwurf für die neue Fassung, bis 14. Januar 2022 durften Stellungnahmen dazu bei der Rundfunkkommission eingereicht werden. Wir Initiatoren von #UnsereMedien halten dieses ‘Anhörungsverfahren’ im Sinne einer breiten Beteiligung von Bürger:innen und Wissenschaft nicht nur wegen des großen Zeitdrucks für vollkommen unzureichend. Um aber die Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen zu lassen, haben wir eine Stellungnahme eingereicht, die wir hier im Wortlaut dokumentieren.
agora21
Stellungnahme zu den Vorschlägen der Rundfunkkommission
Die Initiative agora21 ist ein Zusammenschluss von Menschen, die sich der Idee öffentlich-rechtlicher Medien konstruktiv-kritisch verbunden fühlen und sich für den Erhalt und die offensive Weiterentwicklung der öffentlich-rechtlichen Angebote in Deutschland einsetzen. agora21 hat Mitte Dezember unter dem Titel #UnsereMedien ein Manifest in diesem Sinne veröffentlicht, dem sich mehr als 100 Personen des öffentlichen Lebens als Erstunterzeichner angeschlossen haben. Im Anschluss haben mittlerweile über 400 weitere Personen das Manifest online unterzeichnet. Eine weitere Kampagne mit größerer Reichweite ist auf change.org geplant.
Die wichtigste Forderung und das zentrale Ziel von #UnsereMedien ist ein offenerer Reformprozess, der nicht nur zwischen Staatskanzleien und Sendern ausgehandelt wird, sondern systematisch und transparent auch Zivilgesellschaft und Wissenschaft einbezieht.
Da ein solcher Prozess noch nicht existiert – diese Anhörung selbst greift dazu leider viel zu kurz und ist unserer Ansicht nach völlig unzureichend – können auch die Vorschläge und Forderungen, die wir hier einreichen, nur vorläufiger Natur sein. Sie spiegeln vor allem Positionen der Initiatoren und sollen einem breiteren Diskussionsprozess und dessen Ergebnissen nicht vorgreifen.
Dennoch wollen wir die Gelegenheit nicht verstreichen lassen und nennen erste konkrete Punkte, in denen wir den aktuellen Diskussionsentwurf der Rundfunkkommission für unzureichend halten. Die in diesem Entwurf vorgeschlagenen Änderungen beziehen sich vor allem auf die sogenannte Flexibilisierung, also neu zu schaffende Freiheiten für die Sender, bis dato beauftragte lineare Spartenkanäle bei Bedarf in Internetangebote umzuwandeln. Wesentliche andere Reformbedarfe werden ausgeklammert.
- Insbesondere wäre es sinnvoll, sich einer Reform der Aufsichtsgremien zu widmen, zumal im Hinblick auf künftige neue Aufgaben.
Zum einen können die Gremien ihrer umfassenden Aufsichtspflicht nur unzureichend nachkommen. Das liegt unter anderem daran, dass die Fernseh-, Hörfunk-, Rundfunk- und Verwaltungsräte geprägt sind durch eine Zweiklassengesellschaft von einerseits Amtsträgern, die bei der Erfüllung ihrer Kontrollfunktion auf Stäbe und andere Ressourcen zurückgreifen können, und andererseits ehrenamtlichen Amateuren, die insofern strukturell benachteiligt sind. Aus diesen und anderen Gründen werden die Gremien insgesamt leicht zum Spielball der Intendanzen der Sender und anderer Interessengruppen. Die Untergliederung der Gremienbüros als Abteilungen der Intendanzen illustriert diese Problematik. Ziel einer Reform könnte es daher sein, die Rundfunkräte zu verschlanken, mit mehr echter Fachkompetenz zu besetzen und mit eigenem Personal und Budget auszustatten, um wirklich unabhängig agieren zu können, zum Beispiel bei der Beauftragung von Gutachten.
Zum anderen sollte unserer Meinung nach das bestehende Konzept der Aufsicht und gesellschaftlichen Teilhabe ganz grundsätzlich hinterfragt und ggf. neu definiert werden. Der Grund hierfür ist eine zunehmende Diversität in unserer Gesellschaft, und damit die Notwendigkeit, responsiver auf gesellschaftliche Dynamiken zu reagieren. Dazu müssen aus unserer Sicht neue Strukturen der Medienaufsicht gesucht und nachhaltig eingerichtet werden, die eine zeitgemäßere Form der Teilhabe gewährleisten. Damit würde dem öffentlich-rechtlichen System auch mehr Legitimität zuwachsen. Dies ist insbesondere zwingend, wenn diesen Gremien künftig laut Entwurf noch die Aufgabe zukommen soll, auftragsgemäße Zielerreichungskriterien zu definieren, zu implementieren und zu kontrollieren (Diskussionsentwurf §32 (2b)).
- Im aktuellen Diskussionsentwurf wird eine Plattformstrategie (in § 30 (1)) zwar angesprochen und eingefordert, nicht aber im eigentlichen Sinne ausdrücklich beauftragt. Da sich hier ein absehbar größerer Investitionsbedarf ergibt, ist eine klarere Formulierung unserer Ansicht nach sinnvoll. Es kann bei einer solchen Strategie nicht nur um eine aufwandsneutrale Koordination der Streamingangebote zwischen den Häusern gehen. Das Ziel muss vielmehr der Aufbau eigener digitaler öffentlich-rechtlicher Plattformen mit sozialen und interaktiven Funktionen sein, ggf. auch in Kooperation mit anderen gemeinnützigen Anbietern und europäischen Partnern, die die Abhängigkeit der Sender von Drittplattformen wie YouTube, Facebook und Instagram mindern und mittel- bis langfristig auch zu beenden vermögen. Dies knüpft auch an den in §26 (1) angedachten Auftrag an, allen Bevölkerungsgruppen die Teilhabe an der Informationsgesellschaft zu ermöglichen. Das ist mit bestehenden Bordmitteln kaum zu leisten.
Wenn sie in Zukunft noch gesellschaftlich relevante Medienanbieter sein sollen, dann müssen öffentlich-rechtliche Medien die Chance haben, sich technologisch weiterzuentwickeln, neue Angebote zu machen und selbst Standards zu setzen. Der Medienstaatsvertrag markiert diesbezüglich einen Paradigmenwechsel. Darauf gilt es aufzubauen, etwa in dem auch Daten und Algorithmen konsequent im Sinne des öffentlich-rechtlichen Auftrag genutzt werden (können). Personalisierte Inhalte, aber auch Sicherheit und Transparenz im Umgang mit Daten werden absehbar immer wichtigere Kriterien für die Nutzung digitaler Angebote werden. Für die öffentlich-rechtlichen Sender, die ihre Angebote weder rein auf Reichweitenmaximierung ausrichten müssen noch vom Verkauf personenspezifischer Daten leben, eröffnen sich neue gesellschaftliche Aufgaben und Chancen, wenn sie Angebote entwickeln, die Beitragszahlern individuell auf sie zugeschnittene Angebote liefern und trotzdem zu einer gemeinsamen Wissensbasis in der Gesellschaft sorgen.
- Wenn man den Sendern schon detailliertere inhaltliche Forderungen und Werte in den Auftrag schreibt (§26 (1) im Entwurf: angemessene Berücksichtigung aller Zielgruppen; hohe journalistische Standards; Objektivität und Meinungsvielfalt; Unterhaltung, die einem öffentlich-rechtlichen Auftragsprofil entspricht, etc.), wäre es sinnvoll gewesen, an dieser Stelle auch übergeordnete, gemeinwohlorientierte Werte wie Nachhaltigkeit/Klimaschutz, Diversität und Europäische Einigung explizit zu nennen, die sowohl für die inhaltlichen Angebote wie auch für die Ressourcenverteilung bei deren Erstellung leitend sein sollten.
- Wichtig wäre auch eine Klärung der kategorialen Grundbegriffe (i. e. Information, Bildung, Kultur, Unterhaltung, Beratung), die sich die Intendanzen erfahrungsgemäß nach Bedarf zurechtbiegen. Drei Beispiele zur Illustration der wenig hilfreichen bis missverständlichen Bedeutung und Nutzung dieser Begriffe: ist die Übertragung einer Karnevalssitzung zur Primetime Unterhaltung oder Kultur oder Information, gar Bildung? Gehören tägliche Boulevardmagazine oder heimatkundliche Sendungen zum Informationsangebot? In welche Kategorie passen Wissenschaftsthemen, insbesondere Klimajournalismus? Wir plädieren daher für eine grundsätzliche Überprüfung dieser Begrifflichkeiten, die ja umso wichtiger werden, wenn daran bestimmte quantitative Quoten und qualitative Kriterien zur Auftragserfüllung geknüpft werden sollten. Ein Weg könnte beispielsweise darin bestehen, eine konkrete Definition für diejenigen aktuellen Programmformen festzulegen, die explizit, direkt und überwiegend zum informationellen Grundhaushalt des Einzelnen beitragen – sprich Nachrichten und Zeitgeschehen. Alle anderen Programme können dann auch diesem Zweck dienen und müssten insgesamt einem öffentlich-rechtlichen Profil entsprechen, wären aber ansonsten nicht kontingentiert – ein weiterer Schritt der sinnvollen Flexibilisierung.
- Daran anknüpfend sollte es auch eine grundlegende Verständigung über die Erfolgskriterien geben, anhand derer die Aufsichtsgremien und die Öffentlichkeit die Erfüllung des Auftrags überprüfen. Es gilt als Allgemeinplatz, dass die Reichweite nicht als alleinige Leitwährung dienen kann, und das darüber hinaus auch Faktoren wie Zielgruppengenauigkeit berücksichtigt werden müssen. Und muss die Primetimenutzung nicht künftig empfängerseitig gemessen werden, inklusive Streaming – also was wird tatsächlich zu dieser Zeit gesehen und gehört, statt senderseitig? Aber auch ganz andere Wirkungsfaktoren wie Nachwuchsförderung, Ausstrahlung auf die Kreativwirtschaft oder kulturelle Integration spielen eine Rolle. Wie lässt sich die Erfüllung des einmal definierten Auftrags in Zukunft besser überprüfen? All diese Fragen bilden insgesamt eine komplexe Mammutaufgabe, die nicht allein den jeweiligen Aufsichtsgremien der einzelnen Sender überlassen bleiben kann. Dies gilt zumal bei kombinierten öffentlich-rechtlichen Plattformen und Digitalangeboten, für die es zwangsläufig bundesweit harmonisierter Kriterien bedarf, sowie eines gemeinsamen Maßstabs zur Gemeinwohlorientierung als Rahmen. In diesem Zusammenhang ist insbesondere der Begriff ‘Public Value’ zu nennen, mit dem u.a. der ORF seit Jahren sehr fruchtbar arbeitet. Dieser Begriff hat das Potential, sowohl als differenziertes, operatives Leitbild für Prozesse und Angebote der öffentlich-rechtlichen Medien, als auch als Evaluationsprinzip, z.B. von Seiten der Aufsichtsgremien, und als Legitimationsmodell in der öffentlichen Vermittlung der Leistungen der Sender zu funktionieren.
Diese spezifischen Anmerkungen und Vorschlägen sollen wie gesagt eine künftige Reformagenda exemplarisch illustrieren, aber nicht vorwegnehmen. Im Kern und vorrangig plädieren wir für einen radikal verbesserten Reformprozess, in dem Politik, Sender, Aufsichtsgremien, Zivilgesellschaft und Wissenschaft in regelmäßigen moderierten Formaten, z.B. durch reichweitenstarke Sendungen in den linearen Programmen, online und offline an möglichst vielen Orten (Pop-Up-Stores, Roadshows), konstruktiv an einer nachhaltigen Weiterentwicklung der öffentlich-rechtlichen Medien arbeiten, damit diese auch weiterhin zeitgemäß ihrem gesellschaftlichen Auftrag gerecht werden, wie es das Grundgesetz vorsieht.
Berlin, d. 13. Januar 2022
Für die Initiative agora21
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